Hinsichtlich der sozialen und psychologischen Dimension der Krise sind seit dem Ausbruch von Covid-19 in Deutschland einige Verhaltenstendenzen in der Gesellschaft zu beobachten, die entweder mit Angst oder sogar mit Fremdenfeindlichkeit zusammenhängen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, eine unabhängige Anlaufstelle für von Diskriminierung betroffene Menschen, die Rechtsberatung für Menschen anbietet, die - zum Beispiel aufgrund ihrer ethnischen Herkunft - Diskriminierung erfahren haben, hatte im Februar viele Klagen von Bürgern erhalten. Vor allem asiatisch aussehende Bürgerinnen und Bürger berichteten, dass sie in letzter Zeit diskriminiert worden seien, unabhängig von ihrer wahren Herkunft oder ihrem Bezug zu China. Berichten zufolge wurde einem chinesischen Patienten eine ärztliche Untersuchung verweigert, obwohl er völlig andere Symptome als Corona hatte. In Zügen verzichtete man darauf, neben asiatisch aussehenden Personen zu sitzen, und viele weitere solcher Fälle wurden der Behörde gemeldet. 29
Zeitungen berichten, dass asiatische Bürger weiterhin diskriminiert und sogar bedroht oder körperlich angegriffen werden. Im März wurde chinesischen Musikschülern die Aufnahmeprüfung an einem Musikgymnasium in Berlin verweigert, ohne zu prüfen, ob sich die Schüler kürzlich in China oder anderen Risikogebieten aufgehalten haben.30
Amnesty International berichtet, dass die Vermischung der Angst mit bereits bestehenden rassistischen Stereotypen auch in den Medien zu beobachten sei. Die Bild-Zeitung veröffentlichte Anfang Februar einen Artikel mit der Frage, ob man weiterhin Glückskekse essen oder Pakete aus China annehmen könne. Der Spiegel bildete auf dem Titelbild im Februar eine Person in roter Schutzkleidung, maskiert mit Atemschutzmaske und Schutzbrille, und dem Titel: "Corona-Virus - Hergestellt in China. Wenn die Globalisierung zu einer tödlichen Gefahr wird" ab. Beide Beispiele lägen nicht nur nahe, dass die gesamte chinesische Bevölkerung die Ursache und Verbreitung des Virus war. "Made in China" scheine auch zu implizieren, dass das Virus absichtlich in China "hergestellt" und "exportiert" wurde - ein Argument, das sich auch in kolonial-rassistischen Verschwörungstheorien finde. In ihrem Artikel fordert Amnesty International die Menschen auf, auf diskriminierende Aussagen solidarisch zu reagieren und Einspruch zu erheben.31
Im Internet schlossen sich die Opfer solcher Fälle von Diskriminierung und Rassismus über Twitter zusammen, indem sie ihre Erfahrungen und Antworten unter dem Hashtag #IchBinKeinVirus (das englische Äquivalent #Iamnotavirus bezieht sich auf amerikanische und weltweite Vorfälle) veröffentlichten, um das Bewusstsein zu schärfen und dazu aufzurufen, solches Verhalten zu unterbinden.32
Wie bereits erwähnt, kann man sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden, nicht nur um solche Fälle zu melden, sondern auch, um eine erste rechtliche Beratung zu erhalten, wie man juristisch auf Diskriminierungen und Vorfälle reagieren kann. Je nach Fall können die Opfer Schadenersatz für Rufschädigung oder persönliches Leid erhalten.28
Neben der Bundesstelle können sich Opfer von Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus und Diskriminierung im Allgemeinen an den Antidiskriminierungsverband Deutschland, ein Bündnis unabhängiger Beratungsstellen, wenden und sich persönlich und rechtlich beraten lassen.33
Nicht allzu lange vor Beginn der Pandemie in Deutschland hatte der terroristische Vorfall im hessischen Hanau gezeigt, dass es in Deutschland rassistische und rechtsextremistische Tendenzen gibt, die letztlich zu Gewalttaten führen können. Am 21. März erinnerten Politiker an die Opfer dieses Vorfalls und stellten fest, dass die Diskriminierung asiatisch aussehender Bürgerinnen und Bürger nur zu jener allgemeinen Tendenz beiträgt, der durch stärkere Gegenmaßnahmen begegnet werden müsse, über die die Politiker derzeit diskutieren.34
Der Europarat veröffentlichte kürzlich einen Bericht über Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus, in dem er für Deutschland intensivere Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen von Rechtsextremismus und Rassismus, effektivere Maßnahmen gegen Hassreden im Internet sowie ein erweitertes Mandat und zusätzliche Befugnisse für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fordert.35