Auswirkungen der Corona-Krise 4 – Veränderungen im MICE Geschäft

1 Aktuelle Marktlage

Einer Studie des Europäischen Instituts für TagungsWirtschaft GmbH (EITW) an der Hochschule Harz zufolge verzeichnete der MICE Veranstaltungs- und Tagungsmarkt in Deutschland bis 2019 konstanten Zuwachs an Teilnehmerzahlen. 2019 erbrachte im Verhältnis zum Vorjahr einen Anstieg von 2,7% von 412 Mio Teilnehmer auf 423 Mio Teilnehmer. Auch der Grad der Internationalisierung sei bis dahin gestiegen. So seien 2019 43,2 Mio Teilnehmer aus dem Ausland und somit 15,9% mehr verzeichnet worden als 2018. 1

Die Corona-Krise hatte diesen Erfolg jäh unterbrochen, da seit Anfang März dieses Jahres alle bedeutenden Veranstaltungen abgesagt wurden und ihre Umsetzung unter so hohen Auflagen steht, dass sie für die Branche undurchführbar werden. Der Geschäftsführer des MICE Fachverbandes Famab, Jan Kalbfleisch, sprach Ende Mai von einer fortlaufend dramatischen Situation, die so von der Politik und von den Medien kaum wahrgenommen werde.

„Immer wieder haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass 60 Prozent der Unternehmen nach vier Monaten die Liquidität ausgehen wird. Diese kritische Phase beginnt nun.“ , sagte er und befürchtete, dass ab Juni  250.000 Menschen entlassen werden müssen.

Ein Grund dafür sei, dass die von Bund und Ländern angebotenen finanziellen Hilfen die Branche nicht effektiv unterstützen könnten. Zum einen schließe die momentane Obergrenze, sowie die Art der Berechnung des Umsatzausfalls bereits viele Unternehmen direkt von der Bezugsberechtigung aus, da hier keine Anpassung für die Besonderheiten der MICE Branche stattfänden. Zum anderen werde die finanzielle Unterstützung im Monat auf 50.000€ begrenzt, was jedoch bei einem Unternehmen mit 250 Mitarbeitern lediglich 200€ pro Mitarbeiter bedeute. Ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern mache jedoch trotz interner Kostenreduzierungen zwischen 200.000 und 250.000€ Verluste.

Der Verband fürchte daher, dass diese Art der Unterstützung nicht verhindern werde, dass Unternehmen und Arbeitsplätze verloren gehen. Er fordert stattdessen einen monatlichen Fixkostenzuschussfonds in Höhe von 2% des Jahresumsatzes und einen unbürokratischen, schnell realisierbaren Verlustrücktrag. Schlussendlich sichere die Branche immerhin nicht nur mehrere tausend Arbeitsplätze, sondern sorge durch die Veranstaltungsgäste auch für über zehn Milliarden Euro Umsatzsteuereinnahmen.2 Das Umsatzvolumen der Messeveranstalter wird in Deutschland mit rund vier Milliarden Euro bemessen und macht Deutschland somit zu einem der wichtigsten Messeplätzen der Welt. Das Research Institute for Exhibition and Live-Communication (R.I.F.E.L.) rechnete mit einem Schaden im Bereich Messebau ihn Höhe von 670 Millionen Euro, für die gesamte Messewirtschaft sogar in Höhe von über 1,6 Milliarden Euro.3

2 Exit-Szenarien

Die Studie des EITW bietet mögliche Szenarien an, wie der weitere Verlauf für die MICE Branche aussehen könnte. Hierfür wurde ein optimistischeres und ein pessimistischeres Szenario entwickelt. Bis zum 30. März 2020 seien der Studie nach bereits über die Hälfte der für das Jahr geplanten Veranstaltung abgesagt worden. Ein Drittel wurde zusätzlich verschoben, falls eine Besserung eintreffen sollte. Dies galt vor allem für größere Veranstaltung, wohingegen kleinere Veranstaltungen entweder sofort abgesagt oder in eine virtuelle Veranstaltung geändert worden seien. Das optimistischere Szenario rechnet mit einer beginnenden Erholung des Marktes Ende des Jahres, sofern der Höhepunkt der Corona-Pandemie zwischen Juni und August stattfinden würde. Der hohen Auflagen wegen könnten nach diesem Zeitraum dennoch nur etwa ein Drittel der Veranstaltungen wieder stattfinden. Gewinner könnten in dem Falle die kleineren Veranstaltungen sein und bis Ende des Jahres eine Normalisierung erleben. Großveranstaltungen würden demnach erst zwischen Februar und Mai des Folgejahres wieder zur Normalität zurückfinden.

Im pessimistischeren Szenario würden bis Dezember etwa 90% der geplanten Veranstaltungen ausfallen und der Markt könnte sich erst im Sommer 2021 erholen. Dies betreffe dann, wie im ersten Szenario auch, zunächst nur die kleineren Veranstaltungen. Größere Veranstaltungen könnten demnach vor Herbst 2021 nicht von einer Erholung des Marktes ausgehen.4

3 Ausblick

Die EITW-Studie befasste sich nicht nur mit der momentanen und prognostizierten Marktlage, sondern auch damit, wie die MICE-Branche sich verändern könnte. Auch für Veranstaltungen scheint die Digitalisierung immer bedeutsamer zu werden. Die Studie verglich Meinungen zur Bedeutung digitaler Event-Formate und kam zu dem Ergebnis, dass die Zahl derer, die sich für derartige Formate eine Zukunftschance vorstellen konnten, durch die Corona-Krise binnen weniger Zeit von 47% auf 75% gestiegen sei. Weiterhin gab hybriden Veranstaltungen vor der Krise kaum jeder Dritte eine Chance, wohingegen sich Anfang März schon 60% der Befragten das Potential vorstellen konnten.4

Die Springer Professional digitale Fachbibliothek merkt in einem Artikel zum Thema virtuelle Messen als Alternative an, dass die meisten B2B-Messebesucher bereits vor der Corona-Krise größtenteils durch Internetrecherche über die Veranstaltung und Aussteller vorinformiert waren, so dass für Messeteilnehmer der Sprung zu einer vollständig digitalen Messe gerade in der Krisen-Zeit eine geschickte Notlösung sein könnte. Verschiedene Veranstalter, wie beispielsweise der Allfinanz-Maklerpool Fonds Finanz Maklerservice GmbH hätte diesen Schritt bereits gewagt und während der virtuellen Messe Webinare, sowie Vorträge kostenlos im Internet zum Stream zur Verfügung gestellt. Nicht außer Acht lassen dürfe man jedoch, dass eine vollständige Virtualisierung von Veranstaltungen für die Anbieter kostspielig sei. Über virtuelle Veranstaltungen hinaus könne auch Social Authority und Social Selling, besonders Letzteres eine Chance für Veranstalter in der Krise sein, da mit diesen Methoden ähnliche Erfolge wie mit Direktmarketing erzielt werden könnten. Zwar seien derartige Maßnahmen in den Sozialen Medien zeitintensiv, jedoch könne man konkretes Zielklientel direkt adressieren, so wie Messeveranstalter es auch auf Fachmessen tun. Was virtuelle Veranstaltungsformate derzeit noch nicht über eine Notlösung hinausgelangen lässt sei das Fehlen integrierter Markenerlebnisse, die ohne persönliche Anwesenheit oder zumindest technologische Lösungen wie Augmented und Virtual Reality nicht vermittelt werden könnten. 5

Michael-Thaddäus Schreiber, Professor für Destinations- und Kongressmanagement und Leiter des Europäischen Instituts für TagungsWirtschaft (EITW) geht ebenfalls davon aus, dass kleinere Veranstaltungsformate schneller wieder zur Normalität finden, wodurch regionale Wirtschafts-Cluster der Metropol-Regionen, sowie GreenMeetings in ländlicheren Regionen profitieren würden. Jedoch glaubt er nicht daran, dass digitale Formate Präsenzmessen und -veranstaltungen vollständig ersetzen könnten:

„Bei allem „Digi-Hype“ zeigt uns die Krise auch sehr deutlich, wo die Grenzen der digitalen Belastbarkeit liegen; die Aufmerksamkeits-Qualität in unseren Sessions nimmt bereits nach kurzer Zeit deutlich ab, spätestens nach der dritten Video-Konferenz an einem Tag wächst der Wunsch nach „Social Program“ – im virtuellen Raum wartet aber kein Mensch auf uns, den wir mit allen unseren Sinnen wahrnehmen und mit unseren Emotionen erleben können. Zum Business-Erfolg und zur privaten Zufriedenheit brauchen wir die Live-Kommunikation; die Veranstaltungsbranche ist mehr als nur „system-relevant“, wir sind „mensch-relevant“: Mehr Menschlichkeit mit Meetings.“

Anstelle einer vollständigen Digitalisierung schätzt Schreiber, dass die Convention Bureaus in Zukunft stärker von Bedeutung sein werden, was die Bewerbung der Tagungs- und Kongressstandorte angeht und auch bei der effektiven Vermittlung von Veranstaltern an passende Austragungsorte und Eventagenturen. Außerdem geht er davon aus, dass die Convention Bureaus auf der Grundlage von fundierten MICE-Marktforschungen eine effektive Zielgruppenansprache anstreben und neue Formate, sowie Kommunikationswege erschließen müssten. Convention Bureaus könnten demnach in Zukunft immer stärker Innovations- und Motivationsgeber sein, sofern die Länder und Kommunen nicht an der Förderung von finanziellen und personellen Ressourcen sparten.  Insgesamt geht Schreiber daher davon aus, dass die MICE-Branche gestärkt aus der Krise hervorgehen könnte.6

 

Der Juni könnte für die MICE-Branche ein Schlüsselmonat sein, in dem sich zeigen könnte, wie effektiv die Fördermittel von Bund und Ländern tatsächlich Unternehmensschließungen verhindern konnten. Außerdem wird sich abhängig von dem realen Exit-Szenario zeigen, ob und wie schnell die Branche zu ihren Erfolgszahlen von 2019 zurückkehren kann.

Quellen

1  Europäisches Institut für TagungsWirtschaft GmbH (EITW): Meeting- & EventBarometer 2019/2020 – Studie (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
2 Expodatabase; "Jetzt wird es richtig ernst“ Jedes zweite Unternehmen geht unter (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
3  Börse ARD; Coronavirus: Wer unter der Krise richtig leidet (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
4 German Convention Bureau (GBC); Deutscher Business Event-Markt im Wandel (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
5 Springer Professional;  Corona-Krise lähmt auch die Messebranche (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
6 EventCrisis; Mehr Menschlichkeit mit Meetings  (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)
7 Szenariographiken: Europäisches Institut für TagungsWirtschaft GmbH (EITW); Auswirkungen Corona-Virus  (zuletzt aufgerufen am 10.06.2020)

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